Samstagnachmittag
Die letzte der drei Runden des Workshops wurde von Maike Berndt-Zürner (Musikland Niedersachsen) eröffnet. In ihrem Vortrag „Musikvermittlung und Medien – Perspektiven in einem neuen Arbeitsfeld“ zeigte sie, wie diese auf vielfältigste Weisen von Bedingungen von und für Vermittlung abhängig ist, die bislang nur eine Nebenrolle gespielt hätten: vom institutionellen Kontext des Veranstalters, von der Aufführung selbst, von Beteiligten Künstlern und Publika und schließlich von vorherrschenden Stimmungen und Wissensbeständen. Ihr Verständnis von Vermittlung fasst alle strukturierten Bedingungen als Medien auf, wie es in Teilen der Kommunikations- und Medienwissenschaft üblich ist, in der das Theater oder die Rolle des Vermittelnden als Medien verstanden werden.
Um Musik als Vermittlungszusammenhang an sich zu vermitteln, so Berndt-Zürner, sei es notwendig, die gesamten Bedingungen dieser Vermittlung angemessen zu verstehen und in der Arbeit zu berücksichtigen. Ihr gehe es vor diesem Hintergrund darum, so Frau Berndt-Zürner, dass Musik den Hörerinnen und Hörern näher gebracht und für sie konkret erfahrbar wird. Dafür seien Medien zu entwickeln und zu nutzen – ohne dass dabei Musik in den Hintergrund tritt.
Die Entwicklung von Medien komme in der Musikvermittlung dort ins Spiel, wo diese neue Erfahrungen, semantische Kodierungen und auch Neukontextualisierungen von Musik ermöglichen. Selbstverständlich spielen in der Musikvermittlung Medien bei der Speicherung und Vermittlung von Information und Wissen eine zentrale Rolle, die sogar noch wichtiger werde, wo diese Vermittlung und Speicherung für Einzelne erleichtert wird. Derzeit entstehen viele Möglichkeiten für Medienentwicklung und Musikvermittlung, die Themen des jungen Netzwerkes „Musikvermittlung“ sind, über das sich Interessierte auf der vorläufigen Website des Musiklandes Niedersachsen informieren können.
Medial hörbarer und sichtbarer als in den vorangegangenen Vorträgen wurde Musik im folgenden Vortrag „Das Medium als Rahmen: die Fernsehgeschichte des Eurovision Song Contest“, den Dr. Irving Wolther mit Pathos und Zwinkern im Auge mit der bekannten Erkennungsmelodie der Eurovision einläutete. Die Metapher des ursprünglich geplanten Titels „Musik im Medienkorsett“, bringt wieder neue Dimensionen des Zusammenhangs von Medien- und Musikentwicklung in die Diskussion ein. Selten würden Konflikte in der Medien- und Musikentwicklung so offenbar, so Dr. Wolther, wie in der Geschichte dieses Komponier-Wettbewerbs.
Mit diesem europäischen Contest, den es ohne Fernsehen nicht gäbe, und seinen Beiträgen würden Zwecke verfolgt, die weit über musikalische und ökonomische Aspekte hinausgehen. Im Vordergrund, so Wolther, stehe die Vermittlung von Nationalkultur oder besser von deren Klischees, wie er an zwei Beispielen vor Augen führte. Vor diesem Hintergrund wandelte sich der Eurovision Song Contest, was nicht zuletzt das Abstimmungsverhalten des Publikums belege, über die Jahre von einem Kompositions- zu einem Länderwettbewerb. Fernsehanstalten der einzelnen Länder verfolgten spezifische nationale Interessen bezüglich der Repräsentation ihrer Institution und ihrer Nation, die sie durch ein strenges aber variables Reglement durchzusetzen wüssten. Nicht zuletzt deshalb sei die Bandbreite der Musiktitel lange Zeit stark auf Schlager begrenzt gewesen. Die Musikindustrie und der populäre Massengeschmack seien hingegen von geringerem Einfluss. Dennoch gebe es kein anderes musikalisches Medienevent, das quer durch alle Altersgruppen und Schichten so populär ist. Wohl nur hier, so Dr. Wolther, beurteilen und diskutieren so viele unabhängig von Hintergrundkenntnissen und Expertenwissen Musik. Diese Gruppendynamik und Gemeinschaftserlebnisse konstituieren regelmäßig ein Ereignis, das zu recht oft als Ritual bezeichnet wird. Im Anschluss an seinen Vortrag brandete eine Diskussion darüber auf, ob und inwieweit die heute anzutreffenden Muster globaler Popmusik es überhaupt ermöglichen, nationale Identität, also Differenzen, in einem kulturell wahrnehmbaren Maße in einem solchen Fernsehformat zu transportieren.
Die Konstitution von Differenzen und ihre Bedeutung blieben auch im anschließenden Beitrag das Thema, nun allerdings aus der Perspektive der Künstler. Im Vortrag „Von der Band-Bio via Website zum MySpace-Profil. Möglichkeiten und Herausforderungen für die Selbstvermarktung/-promotion“ referierte Isabel Palmtag (GEMA) aus ihrer langjährigen Praxis des Band-Development bei der Pop-Akademie in Mannheim über neue Möglichkeiten aber auch neue Herausforderungen und Pflichten, die für Bands durch Medienentwicklung erwachsen und derer sich viele überhaupt nicht bewusst sind.
Medienentwicklung als Entwicklung von Medien für Bands werde eine immer wichtigere Voraussetzung für deren Erfolg. Während schon früher die Selbstdarstellung in Form einer Band-Bio(graphie) wichtig gewesen sei und natürlich auch immer hilfreich, eine eigene Website zu haben, schaffen digitale Netzwerkmedien und Web 2.0 eine zweite (virtuelle) Realität, deren Bedeutung für die Beziehung von Bands mit ihren Anspruchsgruppen kaum überschätzt werden könne. Social Network Sites ermöglichen eine engere Bindung zu Fans, unmittelbare Erreichbarkeit und eine neue Qualität der Direktvermarktung eigener Werke. Neben diesen Chancen, die zunehmend genutzt werden, treten neue Herausforderungen in der Form einer ständigen Beobachtbarkeit durch die Öffentlichkeit wie auch potenzielle Business-Partner, die durch diese Entwicklungen ebenfalls ganz andere Möglichkeiten bekommen. Diesen sehr komplexen Möglichkeiten und Herausforderungen durch Vernetzung, Kommunikation und Interaktion sowie Repräsentation und Transaktion könne ohne ein angemessenes Verständnis kaum adäquat begegnet und für die eigene Karriere genutzt werden, weshalb Musikhochschulen hier besonders gefordert sind, Künstlerinnen und Künstlern unter diesen neuen Bedingungen Orientierung zu bieten und wie mit entsprechenden Lehrangeboten vorzubereiten.
Fortgesetzt wurde die Diskussion der Möglichkeiten, die sich durch Medienentwicklung für die Entwicklung von Musik ergeben mit dem Beitrag „Medienentwicklung: neue Möglichkeiten der Analyse, Produktion und Vermittlung von Popmusik an ausgewählten Beispielen“ von Dr. Michael Ahlers (Universität Paderborn), in dem nun avancierteste Entwicklungen von Medien für Musik in den Blick gerieten. Ahlers zeigte, wie Computer-Anwendungen ein völlig neues Instrumentarium schaffen, z.B. durch Analyse-Algorithmen, auf denen Programme wie Music Mixer oder Music Box basieren oder auch durch Möglichkeiten der semantischen Indexierung wie bei last.fm oder iTunes Genius. Derartige Recommendation-Systeme, deren neue Qualität des Musik-Findens Nutzer stärker als je zuvor in den Prozess „Musik“ integriert, verändern die Wertschöpfung in und mit diesem Prozess und begründen zugleich völlig neue Forschungsfelder.
Auch eröffnen solche technologischen Innovationen neue Möglichkeiten der Produktion und Kooperation, wie Dr. Michael Ahlers im inhaltlichen Anschluss an den Vortrag von Prof. Dr. Holger Schulze an Beispielen von neuen Interfaces, Klangoptimierung und einem neuen haptischen Controller verdeutlichte. Vielleicht schaffen sie neue Zugänge zu Musik, in jedem Fall demokratisieren sie musikalische Produktionsmittel und erhöhen die Zahl derer, die Musik machen können. Auch Dr. Ahlers stellt deshalb die Frage in den Raum, ob durch diese Entwicklungen nur eine Vielzahl „musikalischer Minderwertigkeiten“ entstehe, ob sich Laien tatsächlich professionellen Standards annähern oder hier nur Allgemeinwissen auf niedrigem Niveau konsolidiert werde und letztlich, ob neue Interfaces eine neue Musik hervorbringen könnten.
In der abschließenden Diskussion hoben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die vielfältigen und durchaus konfliktären Einsichten in Bezug auf die Möglichkeiten und Herausforderungen durch Medienentwicklung für Musik aus den Beiträgen, die in den verschiedenen Diskussionen vertieft und entwickelt geworden waren noch einmal hervor. Betont wurde, dass dieser interdisziplinäre Workshop zu diesem Entwicklungszusammenhang mehr als überfällig war. Die fruchtbare und multiperspektivische Diskussion zwischen Vertretern der Medien- und Kommunikationswissenschaft mit Vertretern anderer Fächer wie Musikwissenschaft (Prof. Dr. Tadday, Universität Bremen), Sound Studies (Prof. Dr. Schulze, UDK Berlin), Kulturwissenschaft (PD Dr. Düllo) oder Musikmanagement (Prof. Dr. Gerhard Gensch) zeigte, wie sehr die Entwicklung der Medien „Musik“ als Gegenstand dieser Fächer verändert. Die Beiträge aus der Praxis von MTV (Dr. v. Walter), dem Kesselhaus der Kulturbrauerei Berlin (Birke), Musikland Niedersachsen (Koch) und Stage-Entertainment (Müller-Stephan) dokumentierten anschaulich, wie sehr ihre Arbeit an der Entwicklung der Medien über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Ein Erfolg übrigens, den sich junge Bands immer mehr auch durch Medienarbeit in der virtuellen Realität mit erarbeiten müssen, wie Isabel Palmtag und Rückmeldungen von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Publikum zeigten, die bei dieser Arbeit mehr systematische und professionelle Hilfestellung erwarten.
Die Zunahme von Vernetzung, Austausch und Kommunikation im Zuge von Web 2.0, die in den meisten Beiträgen hervorgehoben wurde, veränderte zusammen mit medientechnischen Entwicklungen auch den Musikjournalismus. In ihren Beiträgen zeigten Stefan Weihnacht für die Geschichte journalistischer Angebote in Musikzeitschriften, Dr. Wolfang Rumpf für das Radio und Sabine Lange mit Bezug auf die Oper im Radio, wie sehr sich auch die Rolle der Journalisten verändert hat. Waren sie einst maßgeblich für die Themen der musikbezogenen Diskussionen und die Produktion von Hits, werden sie immer mehr professionelle „Archivare, Kritiker und Gehilfen“, wie es Dr. Wolfgang Rumpf von NWR/Radio Bremen formuliert.
Die Verwobenheit der Entwicklung von Medien und Musik werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Workshop, da herrschte Einigkeit, noch aufmerksamer verfolgen – egal, ob es um die Entwicklung alter oder neuer journalistischer Formate und Medien geht, um die von Musikmarken wie MTV, um TV oder Web 2.0 basierte Entwicklungen von Veranstaltern wie Stage Entertainment, dem Kesselhaus der Kulturbrauerei in Berlin, Musikland Niedersachsen oder auch von jungen Künstlern und Bands.