Wie viele andere Medien- und Musik-Forschende und Fans habe auch ich am vergangenen Montag die Keynote zu Apples Entwicklerkonferenz verfolgt. Auf die ganzen iNeuerungen, die vorstellt wurden, will ich gar nicht eingehen. Hier ist vor allem das One-More-Thing relevant: ‚Apple Music‘ und das integrierte Musik-Netzwerk ‘Connect’. Mein Fazit der Lifestyle-Inszenierung: Entweder Apple ist brilliant und ich habe es nicht verstanden, oder sie haben sich mit ‚Connect’ etwas geschaffen, was hinter das meiste zurückgeht, was Musikkultur und Wirtschaft heute verändert. Damit würden sie den Fehler des gescheiterten Netzwers ‚Ping‘, das damals in ‘iTunes’ integriert war, wiederholen.
So viel ist klar: Musik war trotz des Entwicklerkontextes zentral. Nach zwei Stunden Tech-Präsentation und steriler kalifornischischer Ideologie superreicher Manager_innen, die mit neuen Produkten die Welt verbessern und tonnenweise Geld anhäufen wollen, tropften im Werbeclip für den neuen Streaming-Dienst Apple Music Schweiß und Dreck nur so aus der authentizistischen Multi-Kulti-Drehorgel. Nachdem Apple in allen Winkeln der Welt multi-ethnische Fans beim Musikhören gefilmt hat, promoteten der Starrapper Drake und NIN-Mastermind Trent Reznor – beide scheinbar neue Brand-Ambassodors für Apple – den neuen Musikdienst. Dieser wurde offenbar nicht von Techies erdacht sondern die war eine Eingebung wahnwitziger männlicher Künstlergenies. Eine Eingebung, die nur Apple verwirklichen könne. So predigte der mit lederner Street-Credibility ausgestattete Reznor in einer eigenen Ansprache an die Apple-Community einen Musikservice “not just for the top tier artists but for the kids in their bedrooms too”. DAS wäre es jetzt gewesen. Unter meinen Fingernägeln spürte ich ein neues Musikmedium jucken, dass es den Kids zuhause vielleicht wirklich möglich macht, ihre Musik in die Welt zu schicken und sich neben Aretha Franklin und Lady Gaga in das neue Streaming-Angebot einzubringen. Ein neues oder besseres Soundcloud, dass potentiell alle Apple-User erreicht?
Scheinbar nicht: Trotz Trent Reznors Demokratisierungsplattitüden scheint Apple immer noch vor allem an die Musikindustrie zu denken. (Die haben sie mit iTunes mal wirklich revolutioniert!) Relevant ist aber doch heute, was nicht der Industrie hilft, sondern der gesamten Musikwirtschaft und der Musikkultur, was ein kleiner aber feiner Unterschied ist. Während die Musikindustrie das ist, was uns haufenweise gute und schlechte Schallplatten, Tapes und CDs brachte – also diese Musik, die in der tat industriell produziert und verschifft wurde – wird heute die viel breitere Musikwirtschaft wieder wichtiger. Dazu gehören all die Musiker_innen, die uns in Bars, Clubs oder im Berliner Görli unterhalten, die uns über YouTube oder Facebook mit ihren Lebensstilen orientieren, die mittels Crowdfunding um Geld fragen oder die einfach ihre Musik hochladen und sich freuen, dass es Leute gibt, die diese Hören.
Seit Napster und spätestens mit mySpace können wir heute von einer Musikwirtschaft sprechen, die immer mehr eine reiche Musikkultur befördert, weil viel mehr Menschen als noch vor fünfzehn Jahren Musik hören, machen, teilen, tauschen, bewerten, kommentieren oder Remixen. Und das ohne, dass sie jemals Teil der Musikindustrie werden wollten. Apple Music reflektiert das bisher nicht. Das von Reznor angepriesene Netzwerk vereint wieder nur Postings von Stars wie Pharell oder Chris Cornell. Also von Leuten, die sich musikindustriell in das Netzwerk einkaufen können. Auch der von Apple als Unsigned-Artist präsentierte Loren Kramer ist bei näherer Betrachtung gar nicht so Independent, wie man uns glaube machen will, sondern jemand mit guten Beziehungen zum Industrie-Veteranen Jimmy Iovine der nun auch für Apple arbeitet. Tatsächlich, so informiert die Apple-Website, braucht es, um Musik über ‚Connect‘ zu verteilen, mindestens einen so genannten Aggregator, also ein Unternehmen, das Geld damit verdient, Musik von Musiker_innen an Musik-Services zu vermitteln. DAS hatten wir auch schon beim Apple-Netzwerk ‘Ping’, wo es zwischen 2010 und 2012 möglich war, Stars wie Lady Gaga innerhalb von ‘iTunes’ zu folgen und mit Updates versorgt zu werden. Das sich Kids oder all die anderen Personen, die Apple durch seinen Griff ins Handbuch für Diversity-Branding in den Werbespot katapultiert hat, für die Verteilung ihrer Musik anmelden können, habe ich damals wie heute nicht wirklich gesehen. Vielleicht ein Grund dafür, warum ‚Ping‘ neben ‚YouTube‘ und ‚Soundcloud‘ schnell wieder eingestampft wurde? Industriedenken und Kulturkapitalismus spiegelt sich jedenfalls auch in Drakes arrogantem Promi-Geblubber wieder: In seiner Vintage-Apple-Jacke, die zum Twitter-Meme wurde, preiste er ‚Apple Music‘ als Service für ihn selber, den (steinreichen) “modern musician” und den “modern music consumer, like you“. Um die kulturindustrielle Moderne realistisch hinter sich zu lassen bräuchte Apple Music schon einen Upload-Button oder etwas besseres. Wenn das Unternehmen Musik heute revolutionieren will brauchen wir mehr und freiere Medien und Technologien, die es potenziell allen erlauben Musiker_in zu werden.

PS: Apples 24/7 Radio-Shows machen aber in der Tat eine gute Figur. Ich würde mich also freuen, falsch zu liegen.

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Apple Music Connects?

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