Samstagvormittag

Nach einer langen bzw. etwas kurz geratenen Freitagnacht beim großartigen Popsong Contest „Hören! 2009″ starteten wir inspiriert in den zweiten Workshop-Tag.

Als erstes sprach Prof. Dr. Gerhard Gensch von der Donau Universität Krems in seinem Beitrag „Musik, Medien und Management: Herausforderungen an universitäre Weiterbildung“ über die besonderen Herausforderungen an universitäre Weiterbildung im Schnittstellenbereich von Medien, Musik und Management. Die Marktbedingungen haben sich durch die digitale Musikökonomie stark verändert, die Tonträgerindustrie ist mit enormen Umsatzeinbrüchen konfrontiert und die vereinfachten Produktionsbedingungen verringern – zumindest oberflächlich betrachtet – den Abstand zwischen Profis und Amateuren. Diese Entwicklungen haben die Wertschöpfung in der Musikbranche erheblich verändert und verändern sie auch weiterhin.

Diese Veränderungen spüren, wie Prof. Gensch weiter ausführte, auch die Musiker deutlich: Ihr angestrebtes Kompetenzprofil erschöpfe sich zunehmend nicht mehr in künstlerischer Exzellenz und Virtuosität. Vielmehr müssten auch sie sich auf einen veränderten Wettbewerb vorbereiten, da sie immer mehr als Kleinunternehmer oder „Artepreneure“ agieren und entsprechend über Kenntnisse in den Bereichen Medienagenden, Management und Technik verfügen müssen. Prof. Dr. Gensch gab dann vor diesem Hintergrund Einblicke in die Profile und Hintergründe seiner internationalen Studierendenschaft. Es wurde deutlich, dass neben konkreten Handlungs-, Medien- und Managementkompetenzen auch die Aussicht auf berufliche Kontakte und Netzwerke wichtige Motivatoren darstellen dieses Studium aufzunehmen.

Der folgende Beitrag „Poparchivare, Kritiker oder Gehilfen der Branche – Musikjournalismus im Formatradio heute“ von Dr. Wolfgang Rumpf, Redaktionsleiter Musik beim Nordwestfunk, verdeutlichte dann, dass sich nicht nur die Kompetenzprofile der Musikschaffenden im Wandel befinden. Die Arbeitsabläufe und das Berufsbild der Musikjournalisten im Radio haben sich durch die Dominanz des Formatradios radikal verändert. Grundsätzlich seien der kreative Anspruch und die Gestaltungsspielräume eines freien Musikjournalismus nicht vereinbar mit den festen Strukturen und Zwängen des Formatradios. Technische Neuerungen wie elektronische Musikplanungssysteme, die an sich den Programmablauf vereinfachen sollen, werden von Musikredakteuren als „Entmündigung“ empfunden. Hinzu kommt, dass die früher selbstverständliche Berufsauffassung „Wir machen die Hits“ nun da Musikstücke per Publikumstest anhand empirischer Daten auf ihre Hit-Tauglichkeit beurteilt würden, keinen Platz mehr habe. Ernst zu nehmende Musikkritik und Glossen seien im Radio selten geworden, Serviceorientierung dagegen die zentrale Prämisse. Weiter lebe der kreative Musikjournalismus noch in öffentlich-rechtlichen Nischen, verdrängt auf die hinteren Ränge doch geschützt durch den Programmauftrag und relative Gestaltungsfreiheiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Weit weniger in der Nische als vermutet, sondern das kommerziell erfolgreichste Musikveranstaltungsformat hierzulande ist das Musical, über das Enno Müller-Stephan, IJK-Absolvent und Produktmanager bei Stage Entertainment Hamburg, in seinem Beitrag „Musical – Der ‚hidden Champion‘ auf dem Weg zu neuen Medienpublika“ sprach. Müller-Stephan zeigte, wie sich die Besucher- und Umsatzzahlen entwickeln und wie das Musical den Besuchermassen genau zu geben versucht, was ihr Zielpublikum sucht: leichte Unterhaltung und Flucht aus dem Alltag bei konstanter Qualität. Musicals, so Müller-Stephan, seien das „Privatfernsehen der Bühnenlandschaft“. In dieser Situation, in der die Erwartungen des Publikums relativ klar entwickelt seien und kaum Verdrängungswettbewerb durch neue Formate im Internet zu befürchten ist, wird zurzeit relativ wenig in Formatentwicklung in neuen Bereichen investiert. Unterstützt wird die Vermarktung der Stage-Musicals durch Internetauftritte mit aufwändigen interaktiver Anwendungen und Communities, z.B. für das NDW-Musical „Ich will Spaß“. Bislang erlangen diese Seiten jedoch kaum Relevanz als Abverkaufsmedium, während Online Ticket Shops insgesamt zu den wichtigsten Buchungskanälen zählen. Ein großer Erfolg dagegen sei der Transfer des Musicals ins Fernsehen mit einer Casting-Show für „Tarzan“ über eine inhaltliche Zusammenarbeit mit dem Fernsehsender Sat1 gewesen, wenn auch die Einschaltquoten hinter den Erwartungen des Senders blieben. Aber hier, so Müller-Stephan, zeige sich, dass die Medienentwicklung insbesondere für die Vermarktung die derzeit spannende Herausforderung darstellt.

Prof. Dr. Holger Schulze, Leiter des Studiengangs „Sound Studies“ an der UdK Berlin, diskutierte die Entwicklung der Medien in seinem Vortrag „Das gestalterische Gespür: mit technischen Klangmedien leben lernen“ wieder in einem umfassenderen kultur- und gesellschaftstheoretischen Rahmen. Sein Bezugspunkt dabei waren vor allem die Entwicklung von Technologie und technischen Fertigkeiten, die vor einem halben Jahrhundert noch als reines Expertenwissen galten. Heute verfügen immer größere Teile der Bevölkerung darüber: Das gilt nicht nur für die Produktion und Verteilung von Musik, sondern auch für die damit eng zusammenhängenden Prozesse der Vernetzung und für den Zugang zu Information. Damit gehe die Begehrlichkeit, die technologischen Entwicklungen und neuen Möglichkeiten einst anhaftete, teilweise verloren. Diese Entwicklung habe gleichzeitig zur Folge, dass Unterschiede sich wieder verstärkt auf der Ebene der Virtuosität und Kunst äußern, da technisch befähigte Laien das künstlerisch-gestalterische Gespür oft vermissen lassen. Dieses ist im Gegensatz zu Tonhöhen, Bits, Bytes und Klickraten nicht formalisierbar oder quantifizierbar, die Erlangung von künstlerischer Virtuosität sei vielmehr ein langer und schwer berechenbarer Prozess. Insgesamt nimmt also mit der Zunahme der technischen Möglichkeiten auch der Output zu, der für die meisten jedoch weitgehend hinter ihren Qualitätsansprüchen zurückbleibe.

Diese Entwicklungen setzt Schulze in den Kontext der Arbeiten von Jacques Attalis („Bruit“/„Noise“, 1977), der früh eine heute immer sichtbarere Entwicklung angekündigt hat, dass sich nämlich die Produktförmigkeit der Musik aufzulösen beginnt. Das heißt keineswegs, dass Musik an sich in einem Niedergang begriffen sei, wie Schulze betonte. Musik werde nur zunehmend ein Teil veränderter Alltagspraxen, die immer weniger durch die speziellen Formen spezifischer Musikprodukte wie z.B. die Schallplatte mitgeprägt sind. Diese Entwicklung der zunehmenden Möglichkeiten des Zugriffs auf Musik und von Vernetzung hätten freilich bereits eine Gegenentwicklung ausgelöst (die auch schon früh etwa von Umberto Eco gesehen wurde, der etwa 1993 darauf hinwies, dass es zu einem Luxus werden würde, eben nicht immer und für alle erreichbar zu sein). Beide medieninduzierten Entwicklungen, die neuen Möglichkeiten der Laien zur Produktion und Vernetzung wie die Abgrenzung davon werden künftig im Prozess der Produktion, Aufführung, Verteilung, Wahrnehmung und Nutzung von Musik ihre Rolle spielen. Die Annahme einer zunehmenden Auflösung der Produktförmigkeit von Musik wurde dann in der Runde kontrovers diskutiert. Hier standen sich Positionen gegenüber, die die Thesen gerade mit Blick auf die Geschichte und den Wert ihrer musikalischen „Produkte“ problematisierten, während andere anführten, dass etwa die Renaissance der Aufführungskultur und von Konzerten, die nur einmal vor einem Publikum aufgeführt werden, auch dafür sprechen würden.

Fortgesetzt wurde diese Diskussion indirekt mit dem Vortrag „Oper im Radio – eine Zukunft der Vergangenheit?“ von Sabine Lange (NDR Kultur), in dem sie zunächst ausführte, dass die Oper schon immer für die breite Masse gedacht gewesen sei und ihre Entwicklung von Anfang an eine Demokratisierung musikalischer Kultur bedeutet habe, die heute vor allem durch die Übertragung von Opernaufführungen in den elektronischen Medien fortgeführt wird. Dieser Teil der Geschichte der Oper werde jedoch zu oft vergessen. So wird heute die scheinbar unangemessen aggressive Vermarktung von Oper und Opernsängern häufig beklagt, die hingegen eine lange Tradition hat, etwa bei Kastraten, die früher enorm populär waren.

Zum Zusammenhang von Medienentwicklung und Musik hob Frau Lange noch hervor, dass etwa in der Folge der Ausbreitung visueller Medien zunehmend Wert auf visuelle Ästhetik gelegt werde, besonders was die Attraktivität der Sänger betrifft.

Die anschließende Diskussion über die Zusammenhänge der Entwicklung von Medien und Musik erörterte dann paradox, dass jede Entwicklung von Medien neben neuen Möglichkeiten damit notwendig Bestehendes verändert, weil es neu gesehen werden kann und/oder weil zu diesem nun Alternativen entstehen. So stellt sich dann aus dieser Perspektive z.B. die Frage, ob Oper im Radio überhaupt stattfinden sollte, weil dadurch, wie Prof. Dr. Tadday beklagte, die Gesamtheit von Ton, Bild und Szene, die die Oper ausmache, aufgelöst werde und damit die Übertragung der Oper im Radio grundsätzlich defizitär sei. Dagegen vertrat Frau Langer den Standpunkt, dass die Opernübertragung im Radio wichtige Funktionen erfülle, die in der Diskussion nicht übersehen werden dürften: so trage sie dazu bei, dass die Oper einem größeren Publikum zugänglich gemacht werde. Schließlich seien Übertragungen geeignet, gesellschaftliche Barrieren auf dem Weg zu Oper und Klassik-Aufführungen abzubauen.

Die Diskussion wurde dann in kleineren Kreisen vor dem Hintergrund von Brahms ungarischem Tanz Nr. 6 in Des-Dur fortgesetzt.

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Rückblick 2: Workshop Medien- und Musikentwicklung

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