„DSL 16000″ blinkte es mir verheißungsvoll entgegen, als ich am Wochenende nach einem neuen Internetanschluss suchte. Doch welches Tempo brauche ich – im Internet, zum Arbeiten, zum Leben? Die technologische Entwicklung ermöglicht es uns mehr und mehr, alles und zwar sofort verfügbar zu haben. Und das wirkt sich ganz klar auf die Wirtschaft aus – man denke nur an die Ursachen der aktuellen Finanzkrise – letztlich aber auch auf die Gesellschaft als Ganzes.

Entsprechend erfreut waren wir, am Donnerstag Prof. Dr. John Tomlinson bei uns begrüßen zu dürfen, dessen theoretische Konzepte zu Geschwindigkeit und Unmittelbarkeit als grundlegend für ein wissenschaftliches Verständnis der kulturellen Auswirkungen von medientechnologischen Entwicklungen gelten.

Geschwindigkeit, mehr noch Beschleunigung sieht Tomlinson als den zentrale Treiber wie auch die Zielrichtung moderner Gesellschaften seit Beginn der Industrialisierung. Diese Entwicklung erreicht ihren Höhepunkt in der Informationsgesellschaft in Form der Unmittelbarkeit (‚Immediacy‘): Raum und Zeit verlieren an Bedeutung, wenn Gesprächspartner, Informationen, Unterhaltung,… weniger als eine Armlänge und einen Augenblick entfernt liegen – ubiquitäre Konnektivität.

Dabei wirkt diese Unmittelbarkeit leicht und mühelos, ist allgegenwärtig und ohne Anstrengung zu erreichen. Hier liegt der kategorische Unterschied zur ‚mechanischen Geschwindigkeit‘ vergangener Zeiten, die stets mit schwerer körperlicher Arbeit oder auch dem Ächzen und Stöhnen der Maschinen verbunden war – kein Vergleich zum sanften Antippen eines Touchscreens, das uns augenblicklich mit dem anderen Ende der Welt verbinden kann.

Tomlinson führte dann sehr einleuchtend an, dass sich dadurch natürlich kulturelle Grundannahmen, Einstellungen, damit letztlich kulturelle und gesellschaftliche Werte verändern. Die Erwartung der Unmittelbarkeit zeigt sich wohl am deutlichsten im Konsumverhalten (‚must have now‘), während gleichzeitig die Grenzen zwischen Konsum und Produktion verschwimmen. Das betrifft nicht erst Phänomene wie nutzergenerierte Inhalte, sondern wird z.B. schon in schlichten Online-Bestellungen sichtbar, wo ein Großteil der Serviceleistung auf den Kunden abgewälzt wird. Konsum wird damit eigentlich zu Arbeit, dabei durchdringt Arbeitssphäre mit Hilfe der Kommunikationstechnologie potenziell schon alle vormals privaten Bereiche. Heißt das nun, alles wird zu Arbeit, wenn auch müheloser Arbeit?

Auf der goldenen Seite erreichen wir dadurch ein hohes Maß an Produktivität, das auf der anderen Seite die Ungleichheiten auf der Welt verstärkt. Der Preis für die Unmittelbarkeit ist die Ausbeutung – ein Thema, das Tomlinson nur kurz anriss und das wir an anderer Stelle vertiefen sollten.

Letztlich bleibt die Frage, wie gehen wir mit der unaufhaltsamen Beschleunigung um, mit der medial vermittelten Unmittelbarkeit, mit ihrem Preis für uns persönlich und für diese Welt? Prof. Tomlinson hatte eine Antwort: ‚Poise‘ – mögliche Übersetzungen, die mir angeboten werden: Gleichgewicht, Haltung, Schwebezustand. Nun, das trifft es alles nicht genau, denn er meinte weder ein esoterisches Konzept noch eine preußische Tugend. Nun, ich werde mich jetzt daran versuchen, auch wenn keine unmittelbare Übersetzung zur Hand ist. In diesem Sinne: may the poise be with you.

Dr. John Tomlinson ist Professor für Cultural Sociology an der Nottingham Trent University. Er ist international anerkannter Experte für kulturelle Aspekte des Globalisierungsprozesses und lehrte bisher an vielen Universitäten in Europa, USA und Ostasien. Außerdem war er als Berater in Sachen Globalisierung, Kultur und Politik für mehrere internationale Einrichtungen tätig wie die UNESCO, der Europarat, The Commonwealth Secretariat und das Geneva Centre for Security Policy sowie das Nato Defence College. Seine Forschungsinteressen umfassen: The public culture of contemporary capitalism, The culture of speed, „Immediacy“ and cultural values, The cultural implications of the globalization process, The cultural implications of new media technologies, Social and cultural theory of modernity, Cosmopolitanism, International cultural policy debates, Cultural change in contemporary China.

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Media Technologies and the Culture of Immediacy – Gedanken zum Gastvortrag von Prof. Dr. John Tomlinson

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