Tomlinson, John (2007). The culture of speed: the coming of immediacy. Los Angeles: SAGE.

Prof. Dr. John Tomlinson (Nottingham Trent University) betrachtet in diesem Buch die Durchdringung der Gesellschaft mit (Medien-)Technologie, welche unmittelbare Erfahrung schafft, wie es sie zuvor nicht gegeben hat.

Geschwindigkeit wäre vor der Moderne niemals als Kulturphänomen aufgefasst worden – wie kommt Tomlinson also dazu eine ‚Speed of Culture‘ beschreiben zu wollen? Was mag der Grund zu sein, sich kulturelle Überlegungen über Geschwindigkeit zu machen?

Nicht nur er tut es, auch Prinz Charles fragte sich öffentlich „I often wonder, how much faster we all can go?“ Der Einfluss von Geschwindigkeit auf die Gesellschaft ist groß, und Beschleunigung ist eher das konstante Leitmotiv der Moderne als Entschleunigung.

Diese nimmt dabei vielerlei Formen an und findet sich vielfältig in der Gesellschaft wider: bei der Messung von Geschwindigkeit in Kilometer pro Stunde, im englischen Sprichwort „the quick and the dead“, je nach Sichtweise in den Bedeutungen „Vergnügen oder Schmerz“ sowie „Emanzipation oder Unterwerfung“ – beide Gegensatzpaare sind Resultate von Geschwindigkeit, sie ist positiv wie negativ resultierend aus ihrer Unregulierbarkeit.

Grundsätzlich wird Geschwindigkeit in der Moderne in einem institutionalisierten Verständnis jedoch positiv beurteilt. Die Mechanisierung, der Glaube an unendlichen Fortschritt und die Ökonomie des Marktes sorgten dafür. Letztlich wird aus der omnipräsenten Geschwindigkeit ein Erleben von Unmittelbarkeit (Immediacy).

Immediacy steht für die kulturelle Bedeutung der Geschwindigkeit die nicht täglich, sondern sogar ständig, ununterbrochen erlebt wird. Dabei geht es nicht um eine technologische Sichtweise, die den Einfluss der Technik auf Gesellschaft betrachtet, sondern um die Technologien als Vehikel einer steigenden kulturellen Beschleunigung.

Neu an der Beschleunigung ist eine Konvergenz kultureller Phänomene, was dafür sorgt, dass diese nicht mehr mit bisherigen Mitteln beschrieben werden können. Die Beispiele sind dabei einleuchtend und vielfältig: Arbeitsleben und Freizeit verschmelzen; Suchmaschinen werden zum ersten Ort des Wissens; öffentliche Plätze werden zu Arbeitsplätzen (Starbucks); eine ununterbrochene Berichterstattung über den gesellschaftlichen und politischen Kontext unseres Lebens in Echtzeit; digitale Fotografie hat die Möglichkeiten und Vorstellungen von moderner Fotografie grundlegend verändert; den Wandel des Begriffs Multitasking von einem informatischen zu einem humanen; die Alltäglichkeit von Bildschirmen und Tatstaturen – und die Hilflosigkeit wenn man diese nicht zu nutzen weiß. Dies sind nur einige von Tomlinsons Beispielen des Einflusses von Geschwindigkeit auf Kultur und wie sie diese verändert. Die heutige Zeit muss mit dem Wort Unmittelbarkeit beschrieben werden, die Zeit davor war lediglich von ‚mechanical velocity“ bestimmt.

Unmittelbarkeit wird dabei mit Raum und Zeit charakterisiert: Raum steht dabei für den häufigen Wegfall von Zwischenräumen und dabei entstehenden Direktverbindungen und -beziehungen. Zeit betont eine Wirksamkeit ohne Zeitverzug, ein sofort. Daraus leitet Tomlinson drei Kernsapekte von Unmittelbarkeit ab: (1) Die Kultur der Augenblicklichkeit, d.h. schnelle Lieferung ubiquitärer Güter und sofortige Befriedigung von Wünschen. (2) die Kultur der Nähe, d.h. nicht nur Beschleunigung, sondern eine Qualität kultureller Erfahrung. (3) eine entscheidende Wichtigkeit der Medien in der Kultur. Es gibt keinen Alltag ohne Medien, Kultur wird größtenteils durch Medien erfahren und die meisten Erscheinungsformen der immediacy sind Kommunikationstechnologisch begründbar. Eine medienzentrierte Betrachtung der Unmittelbarkeit ist jedoch der falsche Weg, wesentlich ist die Integration von Medientechnologien in eine sich in allen Bereichen verändernde Moderne. Das alltägliche Leben konstituiert sich immer mehr über elektronische Kommunikation und mediale Systeme. Dies nennt Tomlinson ‚telemediatization‘. Sie erweitert das Bewusstsein wird durch exklusive mediale Aktivitäten, ist von face-to-face Interaktion verschieden wobei ihre Anwesenheit normal ist. Deutlich wird dieses Phänomen in der Wandlung des Begriffs ‚Terminal‘. In einer alten Bedeutung werden damit z. B. Bahnhofsgebäude bezeichnet. Man begibt sich dort hin um wo anders hin zu gelangen, um abzufahren. Heute sind Terminals Apparate, die uns medial bedienen. Ein Fahrkartenautomat ist dies genauso wie ein Mobiltelefon. Über das Terminal kann man unmittelbar seine Ziele erreichen, und zwar räumlich wie zeitlich. Dabei sind sie portabel und personalisiert sowie Fixpunkte im Raum, welche Mobilität organisieren – allerdings sorgen sie nicht für physische Mobilität. Daraus leitet Tomlinson eine Bedeutungswandel des Begriffs der Nähe von räumlich zu zeitlich ab, denn die physische Nähe wird nur noch durch die Reisezeit bestimmt, die Entfernung wird unwichtiger da medial überbrückt.

Diese mediale Überbrückung wird dabei immer ursprünglicher, unberührter und unmittelbarer. Beispiele sind effizientere und diskretere Kommunikationsübertragung (z. B. HDTV), Medieninhalte sollen schnell und live erscheinen (z. B. weniger Barrieren beim Auftritt eines Nachrichtensprechers) sowie die Integration der Medien in den Flow des Alltäglichen (z. B. als spielerischen Wechsel zwischen mediatisierten und unmediatisierten Tätigkeiten).

Tomlinson kann in seinem Buch anschaulich zeigen, wie Medien den Alltag bestimmen und welche Folgen dies für Gesellschaft und Kultur hat. Die Integration der Medien in den Alltag ist dabei bestimmt von einer Verkürzung von Distanzen bis zu ihrer vollkommenen Auflösung trotz räumlicher Entfernung. Gebrauch von Kommunikationstechnologie erschließt dabei einerseits Freiheiten (immer erreichbar zu sein) und andererseits Zwänge (ebenfalls immer erreichbar zu sein). Gerade Personen die mit den gewandelten Bedingungen aufwachsen verinnerlichen sie.

Für alle anderen stellt die neue, mediale Lebensweise der Gesellschaft eine große Schwierigkeit dar.

ISBN: 978-1412912037

Inhaltsverzeichnis

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Buchrezension: The culture of speed (Tomlinson)

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