Am Donnerstag war Dr. Jan Schmidt in unserer Vortragsreihe Medienentwicklung zu Gast und sprach über eines der Themen, die wohl am stärksten unsere Vorstellungen von „neuen Medien“ prägen: das Web 2.0.
Ausgehend von der Perspektive individuellen Handelns beschrieb Jan Schmidt sein Konzept „persönlicher Öffentlichkeiten“, die anders als journalistische Öffentlichkeiten von jedem – auch Dir und mir – vor allem durch Web2.0-Anwendungen wie Social Networks, Blogs, etc. geschaffen werden können. Schmidt definiert diese „persönlichen Öffentlichkeiten“ als
„ein Geflecht von online zugänglichen Äußerungen zu Themen vorwiegend persönlicher Relevanz mit deren Hilfe Nutzer Aspekte ihrer selbst ausdrücken und sich ihrer Position in sozialen Netzwerken vergewissern.“
Was heißt das nun? Es dreht sich im Web2.0 1.) vorwiegend um private Themen und Interessen, 2.) um Identitätsmanagement, also die Möglichkeiten das eigene Selbst zu präsentieren (was hier übrigens nicht als narzisstischer Trieb zu sehen ist) und 3.) um Beziehungsmanagement im Sinne des Aufbaus und der Pflege persönlicher Netzwerke. Als dritte zentrale Handlungskomponente beschreibt Schmidt das Informationsmanagement, also das Finden, Bewerten und Verwalten relevanter Inhalte. Dabei wurde im Anschluss an den Vortrag wurde noch stark diskutiert, ob nicht auch die Selektion von Information, die man über sich selbst veröffentlicht, diesem dritten Handlungsbereich zuzuordnen ist. Damit stünde das Informations-management in wesentlich engerem Zusammenhang mit dem Identitäts- und Beziehungsmanagement als bei Schmidt konzeptionell vorgesehen. Die gleichen Überlegungen wären ebenfalls in Bezug auf die Rezeption von Inhalten anzustellen, die sicher zumindest teilweise im Hinblick auf Identität (Konsistenz) und Beziehungen (Anschluss-kommunikation) erfolgt.
Einmal abgesehen von der theoretischen Konzeption, werfen die praktischen Folgen der Web2.0-Nutzung vielfältige Fragen auf: Wissen wir genau, welche Daten von uns bewusst oder unbewusst veröffentlicht werden und damit unsere persönliche Öffentlichkeit formen? Ist es schicklich, anonym und damit heimlich Profile anderer Leute bei StudiVZ einzusehen? Im Umgang mit diesen neuen persönlichen Öffentlichkeiten stehen wir noch mitten im Prozess der Aushandlung von Konventionen, Erwartungen und Routinen. Eine andere Frage betrifft Entwicklungen der Anbieterstruktur: Was passiert, wenn sich die persönlichen Öffentlichkeiten auf einzelne Anbieter konzentriert, die vielleicht vor allem kommerzielle Interessen verfolgen?
Das mögen keine Fragen sein, die zum ersten Mal gestellt wurden, doch wurde uns spätestens in der anschließenden Diskussion in großer und später kleinerer Runde, dass Jan Schmidts analytischer Rahmen vielfältige Denkanstöße gibt und persönliche Öffentlichenkeiten ein äußerst interessantes Konzept sind, das wir auf jeden Fall im Auge behalten wollen.
Hier die ganze Präsentation von Jan Schmidt:
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