In der vergangenen Woche hatten Catherina Dürrenberg, Carsten Winter und ich die Möglichkeit, unsere Forschungsarbeiten zum Thema „Change Management in Tageszeitungsredaktionen“ bei der 55. DGPuK Jahrestagung 2010 „Medieninnovationen“ in Ilmenau vorzustellen. Das positive Feedback und die Anregungen, die wir hier erhielten, haben uns darin bestärkt, den Vortrag mit weitergehenden Notizen auch auf MUKE zu veröffentlichen.

Notizenübersicht

zu Folie 2: Medienunternehmungen, insbesondere Tageszeitungsverlage, befinden sich in turbulenten Zeiten. Zunehmende Konkurrenz durch technologischen Fortschritt und Marktveränderungen, neuartige Mediennutzungsverhalten und eine wirtschaftliche Rezession modifizieren die Bedingungen, unter denen diese Unternehmungen im Wettbewerb agieren können. Die intendierte Veränderung von Medienunternehmungen – Change Management – macht dabei selbst vor Tageszeitungsredaktionen, die von wirtschaftlicher Seite lange Zeit als unantastbar galten („Chinesische Mauer“ zwischen Unternehmung und Redaktion; Wyss, 2004, S. 315), keinen Halt mehr.

Die (deutschen) Medien- und Kommunikationswissenschaften haben dem Ablauf und Management dieser redaktionellen Veränderungsprozess bisher jedoch relativ wenig Aufmerksamkeit gewidmet (Achtenhagen: „persisting lack“). Sowohl für die Zukunft von Unternehmungen und Arbeitsplätzen, als auch für den Fortbestand von Verlagen, ihren (Zeitungs-)produkten und insbesondere Journalismus in einer demokratisch-pluralistischen Zivilgesellschaft ist dies jedoch von großer Relevanz. ↑ nach oben

zu Folien 3 bis 5: Um Change Management in Tageszeitungsredaktionen in der gebotenen Komplexität darstellen zu können, bedarf es eines dualitären, prozessualen Verständnisses von Organisationen und ihrem Wandel über eine Redaktionsbetriebslehre hinaus. Auf Basis der Strukturationstheorie Anthony Giddens‘ (1984) haben wir einen integrativen Theorierahmen entwickelt, der Change Management in der Spielmetapher nach Crozier und Friedberg (1979) als Irritationsprozess zwischen Innovations-, Projekt- und Routinespielen konzeptualisiert (Becker, 1996; Ortmann, Sydow & Windeler, 2000). Unternehmungen werden hier als final nur begrenzt steuerbar angesehen (vgl. Ortmann & Sydow, 2001, S. 442), was Change Management vor umfangreiche Herausforderungen stellt. Dem Prinzip der Ko-Orientierung zwischen Journalismus und Medien folgend (vgl. Altmeppen, 2006) beschreiben wir Redaktionen unter Rekurs auf neuere Theoriearbeit der Redaktionsforschung (Wyss, 2004; Raabe, 2004; Altmeppen, 2007) analytisch isoliert von anderen Verlagsabteilungen als rekursive Reproduktionskreisläufe mit spezifischen Strukturmerkmalen in Arbeits- und Organisationsprogrammen, die einem Routinespiel folgen (vgl. Abbildung 1 auf Folie 4). Ihre intendierte Veränderung wird mit Innovations- und Projektspiel beschrieben (vgl. Abbildung 2 auf Folie 5). ↑ nach oben

zu Folie 6: Vor diesem theoretischen Hintergrund wurden acht qualitative Experteninterviews mit Redaktionsberatern, die Veränderungsprozesse in Redaktionen beratend unterstützen, geführt, um das „Überindividuell-Gemeinsame“ (Meuser & Nagel, 1991, S. 452) für Change Management in deutschen Tageszeitungsredaktionen herauszuarbeiten. Gespräche mit Journalisten oder Verlagsmanagement wurden in dieser frühen Phase explizit zurückgestellt, da Redaktionsberater einen breiteren Erfahrungsschatz besitzen, i.d.R. keine „Betriebsblindheit“ aufweisen und vermutlich eine geringere soziale Erwünschtheit in ihrem Antwortverhalten aufweisen. Im Fokus der empirischen Untersuchung stand der Status quo des redaktionellen Change Management in Deutschland, herausgearbeitet wurden seine Rahmenbedingungen, Abläufe und relevante Akteure. ↑ nach oben

zu Folien 7 bis 11: Diese Folien zeigen die einzelnen Typen von Change-Management-Projekten, die jeweils mit prägnanten Zitaten der Befragten beschrieben werden. Bei „Alibiveranstaltungen“ und „Grüne Wiese“-Konzepten handelt es sich nicht um Change Management im eigentlich Sinne, da hier kein Veränderungsbestreben für das Routinespiel besteht — trotzdem werden diesen Projekttypen von den Befragten immer wieder genannt. ↑ nach oben

zu Folien 12/13: Die Innovationsspiele zeichnen sich vor allem durch Visionslosigkeit und ein reaktives, defensives Verhalten aus. Dabei sind wirtschaftliche Probleme der zentrale Auslöser für Veränderungen. Dementsprechend klare Renditeanforderungen und „kommerziell-orientierte“ Ziele sind an die Change-Management-Projekte gebunden. Angelegt sind sie als „Top-down“-Prozesse: Die Befragten stellen heraus, dass Wandel zum größten Teil „erzwungen“ (E1) werden muss. ↑ nach oben

zu Folie 14: Die Projektspiele werden von unterschiedlich zusammengesetzten Projektteams durchgeführt. Der Chefredakteur bzw. sein Stellvertreter werden dabei als zentrale „leader“ gesehen. Für sie sind Veränderungsprozesse jedoch besonders schwierig, da sie als „pivot player“ (Becker, 1996, S. 237) einander widersprechenden Handlungslogiken folgen sollen. Einerseits müssen sie die operative Aufgabenerledigung in der Redaktion sicherstellen und stehen in permanenten Kontakt zu den ausführenden Ebenen, andererseits sind sie Mitglieder in Projektspielen, die genau diese attackieren. Die Wandlungsintensitäten der Projekte wird von den Befragten aufgrund der klassischen Stabilität in der Redaktion als „zaghaft“-inkrementell eingeschätzt. ↑ nach oben

zu Folien 15/16: Die einzelnen Veränderungen, die Change-Management-Projekte erreichen sollen, können heuristisch als Veränderungen in Organisationsprogrammen (betreffen die Organisiertheit der Redaktion) und Arbeitsprogrammen (vordergründig Veränderungen am Produkt und seinen Inhalten) klassifiziert werden, wobei beide auch parallel stattfinden. Die Veränderungen können dabei zu umfangreichen Widerständen der Routinespieler („resistance to change“) führen. Einige Gründe hierfür nennt Folie 16. ↑ nach oben

Folie 17: Diese Folie zeigt Gründe, warum auch das Change Management in Tageszeitungsverlagen unterentwickelt ist. ↑ nach oben

zu Folie 18: Diese Abbildung ist als ein Beispiel zu verstehen, welche heuristischen Analysen man mit dem empirischen Material vornehmen kann, wenn man sich an dem Theorierahmen orientiert. Wir haben hier einen (mikropolitischen) Konflikt zwischen den Mitgliedern eines Innovationsspiels (Management, Berater) und eines Routinespiels (Chefredakteure) abgetragen, der die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Change-Management-Projekte gut verdeutlicht. Je nach ‚Organisation‘ unterscheiden sich Wahrnehmung und Handeln der Akteure — es kommt ggf. zu „einzementierten“ „Betonköpfen“. Dieses Analyseraster bietet durch seine Systematisierung dann auch die Möglichkeit, praktische Handlungsempfehlungen für einzelne Fälle in situ abzuleiten. (Wobei in diesem konkreten Beispiel beachtet werden muss, dass die Position der Chefredakteure, da nicht erhoben, nur aus dem Material des Beraters rekonstruiert wurde und ggf. verfälscht ist.)

zu Folie 19: Anschlussforschung kann

  • sich beispielsweise der ambivalenten Rolle des Chefredakteurs widmen,
  • das Paradoxon, dass Redakteure in ihrer täglichen Arbeit äußerst flexibel agieren, jedoch in Veränderungsprozessen eher unbeweglich sind, weitergehend untersuchen
  • oder die einzelne Machtmittel der verschiedenen Parteien in Change-Management-Projekten analysieren.

Dazu sind auch weitere empirische Analyse notwendig, die quantitativ angelegt werden oder detaillierter einen Fall (z. B. als Case Study bis hin zu Action-Research-Projekten) untersuchen können. Auch die Sekundäranalyse vorliegender US-amerikanischer Studien stellt eine Option dar.

Literatur

Altmeppen, K.-D. (2006a). Journalismus und Medien als Organisationen. Leistungen, Strukturen und Management. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Altmeppen, K.-D. (2007). Das Organisationsdispositiv des Journalismus. In K.-D. Altmeppen, T. Hanitzsch & C. Schlüter (Hrsg.), Journalismustheorie: Next Generation. Soziologische Grundlegung und theoretische Innovation (S. 281-302). Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Becker, A. (1996). Rationalität strategischer Entscheidungsprozesse. Ein strukturationstheoretisches Konzept. Wiesbaden: DUV.

Crozier, M. & Friedberg, E. (1979). Macht und Organisation. Die Zwänge kollektiven Handelns. Königstein/Ts.: Athenäum-Verlag.

Giddens, A. (1984). The Constitution of Society. Outline of the Theory of Structuration. Cambridge: Polity Press.

Meuser, M. & Nagel, U. (1991). ExpertInneninterviews – vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In D. Garz & K. Kraimer (Hrsg.), Qualitativ-empirische Sozialforschung. Konzepte, Methoden, Analysen (S. 441-471). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Ortmann, G. Sydow, J. & Windeler, A. (2000). Organisation als reflexive Strukturation. In G. Ortmann, J. Sydow & K. Türk (Hrsg.), Theorien der Organisation. Die Rückkehr der Gesellschaft (2., durchgeseh. Aufl., S. 315-354). Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.

Ortmann, G. & Sydow, J. (2001a). Strukturationstheorie als Metatheorie des strategischen Managements – Zur losen Integration der Paradigmenvielfalt. In G. Ortmann & J. Sydow (Hrsg.), Strategie und Strukturation. Strategisches Management von Unternehmen, Netzwerken und Konzernen (S. 421-447). Wiesbaden: Gabler.

Raabe, J. (2004). Theorienbildung und empirische Analyse. Überlegungen zu einer hinrei-chend theorieoffenen, empirischen Journalismusforschung. In M. Löffelholz (Hrsg.), Theorien des Journalismus: Ein diskursives Handbuch (2., v. überarb., erweit. Aufl., S. 107-128). Opladen: Westdeutscher Verlag.

Wyss, V. (2004). Journalismus als duale Struktur: Grundlagen einer strukturationstheoretischen Journalismustheorie. In M. Löffelholz (Hrsg.), Theorien des Journalismus: Ein diskursives Handbuch (2., v. überarb., erweit. Aufl., S. 305-320). Opladen: Westdeutscher Verlag.

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Change Management in Tageszeitungsredaktionen

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