Florida, Richard. (2002). The Rise of the Creative Class and how it’s transforming work, leisure, community & everyday life. New York: Basic Books.

Leitende Idee

In seinem Buch „The Rise of the Creative Class“ stellt Autor Richard Florida die These auf, das Kreativität zum zentralen Wirtschafts- und Gesellschaftsfaktor eines anbrechenden neuen Zeitalters, dem Kreativen Zeitalter, wird. Die wachsende Zahl von kreativ tätigen Menschen in Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur bilden die Kreative Klasse, die sich durch Werte wie Individualität, Anerkennung und Toleranz definiert, und aufgrund von überdurchschnittlicher Bildung und gesichertem Einkommen andere Arbeits- und Gesellschaftsgruppen als bisher dominante und einflussreiche gesellschaftliche Gruppe ablösen wird. Ihr Selbstverständnis führe zu tiefgreifenden Veränderungen in allen Lebensbereichen: „I define it [the Creative Class] as an economic class and argue that its economic function both underpins and informs ist members‘ social, cultural and lifestyle choices. The Creative Class consists of people who add economic value through their creativity“ (Florida, 2004, S. 68).Kreativ tätige Menschen haben zu einem wesentlichen Teil die Aufgabe, Probleme zu identifizieren und dafür neue Lösungen zu entwickeln bzw. vorhandenes Wissen auf neue Weise zu kombinieren.

Bisher war der Begriff der Klasse festgelegt als Zusammengehörigkeit von Menschen, die gemeinsame Interessen haben und sich ähnlich verhalten. Die Ähnlichkeiten sind bestimmt durch ihre ökonomischen Funktionen:

„A class is a cluster of people who have common interests and tend to think, feel and behave similarly, but these similarities are fundamentally determined by economic function – by the kind of work they do for a living“ (Florida, 2004, S. 8, Hervorhebung im Original).

Diese neue Klasse hingegen ist charakterisiert durch ein gemeinsames kreatives Ethos ihrer Mitglieder: „a common creative ethos that values creativity, individuality, difference and merit“ (Florida, 2004, S.8). Geld und beruflicher Erfolg spielen nur in dem Maße eine Rolle, wie sie der Verfolgung dieser Werte dienen.

„Powering the great ongoing changes of our time is the rise of human creativity as the defining feature of economic life“ (Florida, 2004, S. 21).

Dabei zählt Florida sich selbst als Wissenschaftler zum Kern dieser Kreativen Klasse. 1957 in Newark, New Jersey, geboren, studierte er zunächst Politikwissenschaften und „Urban Planning“ an der Columbia University. Er lehrte unter anderem an der Carnegie Mellon University, in Harvard und am MIT. Inzwischen ist er Professor für Wirtschaft und Kreativität an der Rotman School of Management der Universität Toronto. Im Zentrum seiner Forschung stand und steht stets die Frage: Wie entscheiden wir, wo wir leben und arbeiten? Wie hat sich dies verändert – und warum (Florida, 2004, S. 217)? Die Ergebnisse seiner Forschung hat er in bisher vier Publikationen öffentlich zugänglich gemacht: Nach „The Rise of the Creative Class“, das 2002 erschien und 2004 als Taschenbuch aufgelegt wurde, jedoch nie als deutsche Übersetzung, folgten „Cities and the Creative Class“ (2005), „The Flight of the Creative Class“ (2005) sowie „Who is your City?“ (2008).

Ausarbeitung und Konsequenzen des Konzepts

Das Buch ist in vier Teile aufgeteilt: „The Creative Age“, „Work“, „Life & Leisure“ und „Community“. Während Florida im ersten Abschnitt sein Konzept der Kreativen Klasse und der Ressource Kreativität als konstituierend für das Kreative Zeitalter entwickelt, geht er in den folgenden Kapiteln detaillierter auf die Indizien, Symptome und Auswirkungen dieser Entwicklungen für die zentralen drei Lebensbereiche Arbeit, Freizeit und Gemeinschaft ein.

Er identifiziert die Kombination der drei Standortfaktoren Talent, Toleranz und Technologie als Garanten für wirtschaftlichen Erfolg: „Each is a necessary but by itself insufficient condition: To attract creative people, generate innovation and stimulate economic growth, a place must have all three“ (Florida, 2004, S. 249). Diese Anforderungen erfüllen Universitätsstädte in besonderem Maße, da sie Universitäten als „key institution[s] of the Creative Economy“ (Florida, 2004, S. 292) beherbergen. Zur Verortung von Regionen innerhalb der Kreativen Ökonomie und der Messung ihrer Anziehungskraft auf Mitglieder der Kreativen Klasse entwickelt Florida den Kreativitäts-Index als Kombination aus vier verschiedenen, gleich gewichteten Faktoren (vgl. Florida, 2004, S. 244 ff.):

  • Anteil an Menschen aus der Kreativen Klasse (d.h. Kreativ Tätigen) an den Gesamtbeschäftigten.
  • Innovation, gemessen als registrierte Patente pro Kopf
  • High-Tech-Industrie, gemessen durch den Tech Pole Index des Milken Institute
  • Vielfalt, gemessen durch den Homosexuellen-Index als Indikator für die Offenheit eines Gebiets gegenüber verschiedenen Arten von Menschen und Ideen

Aus dem entstandenen Ranking liest Florida zwei Trends ab:

  • Die neue geografische Sortierung entlang von Klassengrenzen erfolge nicht länger vorwiegend innerstädtisch, sondern städteübergreifend, sodass manche Regionen zu kreativen Zentren würden und andere aus zunehmend großen Anteilen der Arbeiter- und Dienstleistungsklasse bestünden.
  • Die neuen Kreativen Zentren seien die wahrscheinlicheren wirtschaftlichen Gewinner, stagniere doch die Arbeiterklasse, während die Dienstleistungsklasse hauptsächlich aus dem Niedriglohnsektor bestehe.

Creative Capital Theory – Florida’s Theorie der Entstehung kreativer Standorte

Diesen sich selbst verstärkenden Kausalzusammenhang von Wohnortwahl und Wirtschaftswachstum konzeptualisiert Florida als „Creative Capital Theory“: Regionales Wachstum werde angetrieben durch die Ortswahl der kreativen Menschen – die Inhaber des kreativen Kapitals – die Orte bevorzugten, die vielfältig, tolerant und offen gegenüber neuen Ideen sind (vgl. Florida, 2004, S. 249 ff.).

Florida sieht in dieser Spirale zwei Entwicklungen: Zum einen wird die Gesellschaft sozial gespalten, da sich die Lebensräume der Kreativen Klasse immer seltener mit denen der Mitglieder anderer Gesellschaftgruppen überschneiden. Zum anderen führt dieser Trend zu einer Divergenz im geografischen Maßstab, indem sich die Wirtschaftskraft in weltweit führenden Wirtschaftszentren sammelt: „More than 50% of us live in urban regions. These 40 mega regions around the world, with less than 20% of the population, account for about 2/3 of the world’s economic output.“ (Florida, F. zit. n. Certo, T., 2008).

Statt durch technologische Innovationen und Globalisierung „flacher“ zu werden, wie Autor Thomas L. Friedman in seinem Bestseller „The World is flat“ argumentiert, werde die Welt immer unebener: „It’s certainly not a world where people can plug in and play from just anywhere; in fact, the great irony of the creative global economy is that the world has become more uneven – more mountainous and ‘spikey’ than ever“ (The Creative Age, 2006).

„The task of building a truly creative society is not a game of solitaire. This game, we play as a team“(Florida, 2004, S. 326).

Florida ist der Meinung, dass die Kreative Klasse angesichts dieser Entwicklungen endlich „erwachsen“ werde müsse. Ihr obliege die Verantwortung, andere „Klassen“ im Kreativen Zeitalter bestmöglich zu integrieren, indem sie ihnen eine Perspektive gibt: „[…] by building a compelling vision of the future and by taking on established interests“ (Florida, 2004, S. 314). Dazu sei es notwendig, dass sich die Kreative Klasse als gesellschaftlich einflussreiche, konsistente Gruppe reflektiert und realisiert und all ihre Fähigkeiten einsetzt: „[…] we must harness all of our intelligence, our energy and most important our awareness“ (Florida, 2004, S. 326).

Resümee

Mit diesem Buch leistet Florida einen interessanten Beitrag zur Diskussion um Wertewandel im 21. Jahrhundert. Aus einer Vielzahl an Daten und Geschehnissen hat er eine Leitidee für das neue Jahrtausend entworfen und den Umbrü-chen im Alltag von Millionen von Menschen einen Rahmen gegeben. Der Antwort auf seine forschungsleitenden Fragen „Wie entscheiden wir, wo wir leben und arbeiten? Wie hat sich dies verändert – und warum?“ ist er einen entscheidenden Schritt näher gekommen, eine abschließende Antwort ist allerdings noch lange nicht gefunden.

Das Kreative Zeitalter befindet sich gerade erst in der Entstehung. Richard Florida wird weiterhin die Phänomene in der Gesellschaft verfolgen, wie zuletzt in seinem neuen Werk „Who is your city?“ (2008), in dem er speziell die Relevanz der Wahl des Lebensortes und dessen Auswirkungen untersucht.

Denn gesellschaftlicher Wandel hat schon immer Menschen bewegt und berührt, und es wird auch immer offene Fragen geben; zu vielschichtig und multiperspektivisch sind diese Lebensentscheidungen.

Kritische Schlussbetrachtung

Eine offene Frage ist jedoch auch, ob bei der Fortsetzung seiner Forschungsarbeit das große Interesse am Ursprungswerk und Floridas ganz persönlicher Aufstieg zu einem Vordenker unserer Zeit, einem „pioneering cartographer of talent“ wie er auf dem Einband gelobt wird (vgl. Florida, 2004), eine Rolle spielt.

Fest steht jedenfalls, dass Florida mit seiner Zusammenfassung von subtilen gesellschaftlichen, ökonomischen sowie kulturellen Einzelphänomenen zu einer neuen Leitidee einen Nerv der Zeit getroffen hat. Durch die Kombination von persönlichen Erfahrungen mit empirischen Daten und einem illustrierend-unterhaltsamen Sprachstil fernab (deutscher) Wissenschaftsdialektik gelingt ihm die Vermittlung seiner sozialwissenschaftlichen und gesellschaftstheoretischen Konzeptualisierung von gesellschaftlichem Wandel für eine breite Öffentlichkeit, die dankbar seine Erklärungen aufsaugt, glücklich eine Anleitung für die „erfolgreiche“ Stadt, für Städteplanung, Wirtschafts- und Kulturförderung in die Hand gelegt bekommen zu haben, ein vermeintliches Allheilmittel gegen Globalisierung und gesellschaftlichen Zerfall. Florida kann anregen, dieses Werk nicht als Fachliteratur zu verarbeiten, sondern das Gelesene mit persönlichen Erfahrungen zu verbinden und die ganz eigene Position zu reflektieren.

Zum Ende des Buches weicht der Wissenschaftler immer mehr dem involvierten Idealisten, der leicht pathetisch die eigene Kreative Klasse zur Verantwortung für andere Klassen ruft. In der Tat ist sein Konzept visionär und sein Appell angesichts der von ihm aufgedeckten Zusammenhänge legitim. Jedoch bleibt es leider bei der Aufforderung.

Das Kreative Zeitalter nach Richard Florida ist keineswegs eine Phase gesellschaftlicher Integrationsarbeit. Dieses Zeitalter ist das Zeitalter der Kreativen Klasse. Für eine Teilhabe von Menschen außerhalb seiner neuen Elite, die sich unter neuen Bedingungen und neue Bedingungen konstituiert, hat er keine Handlungsanweisungen oder konkreten Routen, ohne die die gesamte Darstellung doch etwas utopisch anmutet.

Kann es vielleicht sein, dass Florida sich zu sehr gefällt als Prophet einer neuen aufsteigenden Kreativen Klasse, zu deren Kern er gehört, als dass er sich mit einem Ausweg aus der skizzierten Entwicklung beschäftigen will?

Warum berücksichtigt er nicht das Potential motivierender Lernprozesse, als Möglichkeit, einen bestimmten Status zu überwinden und neue Perspektiven zu entdecken?

Oder ist er deshalb so idealistisch und visionär, weil er gar nicht weiss, welche Anforderungen und Herausforderungen diese Prozesse nach sich ziehen? Was es ganz konkret im Alltag bedeutet, menschliche Kreativität außerhalb wissenschaftlicher Freiräume zu fördern?

Warum nimmt er die von ihm beobachtete geografische Spaltung einfach hin und beschränkt sich auf ein Austeilen von Patentrezepten an die Kreative Klasse? (vgl. Florida, 2008). Sollte Wissenschaft nicht immer auch kritisch mit gesellschaftlichen Prozessen umgehen, ihnen nachgehen und neue Impulse und Auswege zum Wohle einer ganzen Gesellschaft aufzeigen? Vielmehr hat es den Anschein, als finde sich Florida mit dieser gesellschaftlichen Spaltung als unvermeidliche Konsequenz ab, ja, als wolle er nicht anerkennen, dass z.B. neue Technologien in der Lage sind, Kreativität fördern, gesellschaftliche Teilhabe am Kreativen Zeitalter allen Menschen zugänglich zu machen, ganz egal, welcher Beschäftigung sie nachgehen, und damit die Kreative Klasse auf ihre berufliche Tätigkeit zu reduzieren. Kreativität als etwas Urmenschliches widerspricht eigentlich jedem Elitegedanken, sondern steht in Einklang mit dem Demokratiebegriff als Beteiligung aller Menschen und Überbrückung gesellschaftlicher Schichten, der bei Florida jedoch nirgends thematisiert wird.

Dabei ist Demokratie nichts anderes als das Kämpfen und Einstehen für Werte – die eben nicht vom Himmel fallen oder biologisch vorgegeben sind.

Florida hingegen beschreibt den derzeitigen Wertewandel als etwas natürlich-evolutionäres, als Ergebnis eines kontinuierlichen Aufstiegs eines neuen Wirtschaftsfaktors. Offen bleibt, welche Bedingungen und Faktoren es sind, die diesen Aufstieg von Kreativität erlauben, gestalten oder gar konstituieren.

So öffnet Florida mit seinem Werk zwar die Augen für den derzeitigen fundamentalen Wandel hin zur neuen Allgegenwärtigkeit von Kreativität, doch verfehlt er es, die richtigen Schlüsse zu ziehen und überzeugende Perspektiven zu bieten.

Literatur:

Certo, T. (2008, 27. März). Who’s Your City?: Richard Florida And The Geography Of Talent. Metromode Online.

http://www.metromodemedia.com/features/RichardFloridaQnA0061.aspx [14.08.2008].

The Creative Age (2006). The Rotman, Spring/Summer 2006. Verfügbar unter:

http://www.rotman.utoronto.ca/news/magazine.htm [14.08.2008].

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Buchrezension: The Rise of the Creative Class (Florida)
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